PRESSE

Ukraine – mein Statement zur Lage

Ich werde, gerade wegen meiner russisch-ukrainisch-jüdischer Herkunft, in den letzten Tagen oft um eine Einschätzung der Lage in der Ukraine gebeten. In diesem Kontext erlaube ich mir, meine Rede bei der ersten großen Ukraine-Solidaritätsdemo hier weiterzuleiten.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, sehr geehrte Damen und Herren, hier stehen wir bei bestem Wetter, während 1500 Kilometer weiter östlich Menschen mit Sorge in den Himmel blicken, denn seit dem vergangenen Donnerstag gehen Bomben, Raketen und Geschosse vom Himmel in der Ukraine nieder. Was einige von uns nicht gesehen haben, und sehr viele nicht sehen wollten, ist nun wahr – es herrscht wieder Krieg in Europa.

Dieses kann uns nicht kalt lassen, und so danke ich allen, die heute hier sind. Dieses Zeichen der Solidarität ist sehr wichtig, und in ganz Europa und darüber hinaus gehen Menschen heute auf der Straße. Das ist sehr gut, sehr richtig, und sehr wichtig, aber dabei darf es nicht bleiben!

Ich will es so deutlich aussprechen, wie ich es kann: wir alle sind gefordert, die europäischen Werte zu verteidigen, und das wird weder einfach noch angenehm. Denn Sanktionen, die die russische Regierung treffen, werden auch der europäischen und der deutschen Wirtschaft schaden, und das massiv. Sie werden auch dem russischen Volk schaden, welches von Putin gewissermaßen in Geiselhaft genommen wurde. Einen anderen Weg gibt es leider nicht. Es geht aber um das grundsätzliche Prinzip – dass Grenzen in Europa nicht mit Gewalt verschoben werden dürfen. Es geht um die Gewaltfreiheit als Grundprinzip der europäischen Politik, und es geht somit um unser aller Zukunft!

Aber viel härter als die wirtschaftlichen Folgen – denn Deutschland ist ein sehr reiches Land – ist es vermutlich, Abschied zu nehmen von der Vorstellung, Deutschland könne sich aus dem Konflikt heraushalten. Wenn wir das tun – uns raushalten – wird die Europäische Union nicht bestehen, denn Putins Ambitionen machen von den EU-Grenzen nicht halt. Wir müssen nun ein klares Bekenntnis abliefern, um zu zeigen, dass wir zu unseren EU-Partnerländern stehen. Da kann das wirtschaftsstärkste Land der EU nicht außen vor bleiben.

Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Putins Russland und unserem Staatsverständnis. Deutschland ist eine funktionierende Demokratie, und es gab heute eine Debatte im deutschen Bundestag, die zweierlei deutlich gemacht hat – dass es erstens eine große Pluralität bei der Frage der angemessenen Reaktion gibt, und dass aber zeitgleich alle demokratischen Parteien klar machen, dass Putin sich nicht täuschen darf – Deutschland steht zu seinen Verpflichtungen und lässt die Ukraine und die EU-Partnerländer nicht im Stich.

Diese Vielfalt der Meinungen und eine Debatte ist etwas, was Putin nicht kennt, bei ihm bekommen alle gesagt, was sie zu sagen haben. Umso wichtiger war die heutige Bundestagsdebatte. Ich darf an dieser Stelle herzliche und solidarische Grüße von meinem Parteikollegen und Freund Marcel Emmerich / Marcel Emmerich überbringen, der #Ulm im #Bundestag vertritt. Die Debatte zeigt übrigens, dass die deutsche Politik in der Lage ist, schnell zu reagieren, wenn es sein muss. Da hat sich Putin wohl verschätzt. Wer hätte gedacht, dass ein Christian Lindner Erneuerbare Energien als „Freiheitsenergien“ lobt? Wer hätte gedacht, wie radikal die SPD mit Putin und North Stream II bricht, trotz Gerhard Schröder? Wer hätte gedacht, dass die CDU eingesteht, dass die Bundeswehr nach 16 Jahren CDU-Verteidigungsminister nicht in der Lage ist, ihren Aufgaben nachzukommen? Und wer hätte gedacht, dass die Linkspartei die Aggression Putins so klar als solche benennt? Und ja, auch meine Partei hat sich bereit erklärt, bestimmte Positionen, allen voran zu den Waffenlieferungen, zu überdenken, aber Eigenlob verbietet sich, zumal es ja um die Menschen in der Ukraine und nicht um uns selber geht.

Es geht um die Ukraine, dieses Land wird von drei Seiten angegriffen – vom Norden, Osten und vom Süden. Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr #Selenskyj, hat seine Erwartung deutlich formuliert: „ich glaube fest daran, dass die EU der Ukraine beisteht“. Es ist für die deutsche Politik und für die deutsche Gesellschaft, aus sehr guten Gründen, extrem schwer, auch militärische Maßnahmen zu befürworten. Bis auf ganz wenige macht sich niemand diese Entscheidung leicht. Aber Panzer lassen sich nicht durch das Anstrahlen des Brandenburger Tors aufhalten. Das ist leider nur mit geeigneten Waffen möglich, die in der Ukraine knapp wurden. Da konnte Deutschland nicht außen vor bleiben, und so fiel schweren Herzens die Entscheidung, dass auch die Bundesrepublik Waffen liefert. Eine große Zäsur, aber eine notwendige.

Natürlich wünschen wir uns alle, dass der Krieg endet, am besten sofort. Das Ziel ist es, und wird es immer bleiben, zu Verhandlungen zurück zu kehren. Aber #Verhandlungen zu führen, nachdem Kiew von der russischen Armee eingenommen wurde, ist nicht erfolgsversprechend. Es gibt Stimmen, die von Fehlern auf beiden Seiten reden, und rein sachlich stimmt es, die westliche Welt hat etliche Fehler gemacht. Das ändert jedoch nicht das Geringste daran, dass russische Panzer am Stadtrand von Kiew stehen, nicht etwa die ukrainischen kurz vor Moskau, und dass es russische Raketen und Geschosse sind, die den ukrainischen Zivilist*innen den Tod bringen.

Es gilt auch eines deutlich zu machen – dass wir unterscheiden zwischen Putin und seiner Clique und dem russischen Volk. In Russland gehen immer mehr mutige Menschen gegen diesen Angriffskrieg auf die Straße. Das sind wirkliche Held*innen, denn sie spüren die Härte des angeblichen Musterdemokraten Putin – welch krasser Kontrast zu den sog. Spaziergänger*innen hierzuladen, die von der Polizei geschützt marschieren und etwas von der Diktatur faseln!

Sehr geehrte Damen und Herren, man hört es mir an, und die meisten werden es eh wissen. Ich bin in Russland geboren und aufgewachsen, meine Mutter stammte aus der Ukraine, eine Konstellation, die gar nicht so selten ist. Es gab in der Community der Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion bisher auch ganz unterschiedliche Haltungen zum Ukraine-Konflikt.

Aber in den vergangenen Stunden und Tagen erlebe ich, dass sich Menschen mit Wurzeln in der Sowjetunion in fast ausnahmslos zu den europäischen Werten und zum Frieden bekennen und sich eindeutig gegen Putin stellen. Fast alle, viel mehr, als ich es für möglich gehalten hätte. Und diesen Menschen müssen wir die Hand ausstrecken und deutlich machen, dass wir uns gegen Putin und seine Politik stellen, aber Menschen, die russischsprachig aufgewachsen sind, und hier leben, nicht in Mithaftung nehmen. Bis auf ganz wenige, Unbelehrbare, die es überall gibt, können wir uns auf sie verlassen – die sind Teil unserer Gesellschaft und bekennen sich eindeutig zu unseren Werten!

Aber, und das will an dieser Stelle sagen – die deutsche Politik kann deutlich mehr tun, um diese Menschen zu erreichen. Dafür habe ich mich seit Jahren eingesetzt und werde es nun mit doppeltem Einsatz tun!

Sehr geehrte Damen und Herren, in Europa herrscht wieder Krieg. Krieg bedeutet auch immer zivile Opfer. Wir müssen bereit sein, Menschen, die aus der Ukraine flüchten, hier aufzunehmen, genauso, wie diejenigen, die aus in Belarus und Russland vertrieben werden, weil sie sich gegen diesen mörderischen Krieg stellen! Dieser Aspekt kam bisher in der Debatte leider viel zu kurz – aber es sind alle staatlichen Ebenen gefordert, der Bund mit der Finanzierung, die Länder und Gemeinden mit der Organisation. Und, das darf ich sagen, ich bin sehr froh, dass Annalena Baerbock unsere Außenministerin ist, weil sie gezeigt hat, wie gut sie Widerstände gegen die Sanktionen und gegen Aufnahme von Geflüchteten in den EU-Staaten und auch in der Debatte in Deutschland überwinden kann!All die Menschen, die auf die Straßen gehen, hier in Ulm wie in ganz vielen Städten, machen deutlich, dass die Zivilgesellschaft solidarisch ist zur Ukraine. Einem Land, welches einen jüdisch stämmigen Präsidenten hat, und unter dem absurden Vorwand angegriffen wird, es sei faschistisch. Da gilt es, klare Kante zu zeigen!

Und die Politik ist gefragt, dafür zu sorgen, dass Deutschland autarker wird. Und als Ökonom muss ich sagen: Autarkie ist teuer. Aber mit dem Geld, das die russische Regierung für Öl, Gas und Kohle erhält, wird der Krieg in der Ukraine finanziert. Daher ist jedes Windrad, jedes Solarmodul, jedes Pumpspeicherkraftwerk ein Beitrag zur Friedenssicherung, ebenso wie jeder bäuerlicher Betrieb, der unsere Ernährung sichert, und die es in den vergangenen Jahren sehr schwer hatten, und immer weniger werden.

Und, das erlaube ich mir, als Bahnpolitiker, auch dazu zu sagen – jeder Zugkilometer mit E-Antrieb, der eine Fahrt mit erdölbetriebenem Kfz ersetzt, ist ein Beitrag zum Frieden!

In diesem Sinne – bedingungslose Solidarität, kurzfristige Hilfe und mittelfristige Autarkie – dafür sollten wir, alle gemeinsam stehen!

Хай живе, живе вільна Україна – es lebe die freie Ukraine! Vielen Dank!