PRESSE

Unterrichtung des Landtags in EU-Angelegenheiten – Makrofinanzhilfe für die Ukraine (Rede TOP 13 EuropaAusschuss vom 23.03.2022)

Frau Vorsitzende, sehr geehrte Kolleg*innen und Kollegen,
ich darf den ersten Satz der Vorlage zitieren: „die Ukraine hat seit 2014 eine starke Partnerschaft mit der Europäischen Union aufgebaut, die über die rein bilaterale Zusammenarbeit hinausgeht
und sich in Richtung einer allmählichen politischen Assoziierung und wirtschaftlichen Integration entwickelt.“ Ganz genau! Für diese Zuwendung hin zur Europäischen Union zahlt das Land gerade einen
enormen Preis. Auch, wenn die Streitkräfte der Russischen Föderation ganz offensichtlich nicht so schnell vorankommen, wie es sich deren Führung gewünscht hätte, und die Armee und die ganze Bevölkerung
der Ukraine erbitterten und teils erfolgreichen Widerstand leisten, bleibt die Feststellung, dass die Ukraine um ihr Überleben als Staat kämpft. Sie kämpft um ihr Überleben, ich will es erneut betonen, weil
sie sich für die Integration in die EU, für Freiheit und Demokratie entschieden hat. Es ist ein fundamentales Gebot der Solidarität, der Humanität, aber auch des Bekenntnisses zu unseren europäischen Werten, der Ukraine beizustehen.

Die Vorlage, die wir heute beraten, ist auch in einer anderen Weise bemerkenswert. Ihr zufolge wurde bereits Anfang Januar offensichtlich, dass die Ukraine nicht mehr in der Lage gewesen ist, sich über die Märkte zu finanzieren. Das lag an dem, was dort diplomatisch zurückhaltend als „zunehmende geopolitische Spannungen“ genannt wird. Ich übersetze: bereits Mitte Januar war klar, dass ein Überfall auf die Ukraine droht, und von wem er ausgeht.
Der jetzige Krieg kam keinesfalls überraschend. Aber in der Hoffnung, dass dieser Kelch an der Ukraine vorbeigeht, und auch, um den Krieg nicht hinaufzubeschwören, hat sich die EU Kommission auf die finanziellen Folgen beschränkt, und in ihrem Beschlussvorschlag 1,2 Milliarden Euro als Makrofinanzhilfe für die Ukraine beantragt. Da spricht natürlich nichts dagegen, Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und Wahl des Instruments sind gewahrt, siehe Seite 13 der Vorlage.

Aber, sehr geehrte Frau Vorsitzende, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich ist durch den Krieg, den russischen Streitkräfte derzeit gegen die Ukraine führt, die Frage der Staatsanleihen in den Hintergrund gerückt. Die Ukraine braucht ganz andere Geldbeträge, und auch Hilfen anderer Art, und auch sonst hat sich die Welt in den zwei
Monaten seit der Erstellung des Dokuments sehr geändert. Auf drei Aspekte erlaube ich mir, einzugehen.

Etliche Länder des sogenannten globalen Südens sind auf Lieferungen von Nahrungsmitteln, vor allem Getreide, aus der Ukraine angewiesen. Aber auch die Lieferketten beim Kunstdünger, Saatgut und bei landwirtschaftlichen Maschinen sind nun gestört. Die erste Reaktion ist es, Flächen in Deutschland und in Europa aus der Stilllegung
rauszunehmen. Das ist ein kurzfristiger Beitrag, keine Frage, aber die bisherige Praxis war es, nicht die allerbesten Flächen stillzulegen, sodass der Ertrag wohl überschaubar bleiben wird, und ob es von allen benötigten Faktoren – Arbeitskräften, Saatgut, Dünger – genügend zur Verfügung stehen wird, bleibt offen.

So lehrreich die Debatte dazu in der heutigen Plenarsitzung gewesen ist, kurzfristige Maßnahmen werden nur beschränkt wirken. Daher kommen wir in der EU nicht drumherum, einen Teil des Getreides und
des Maises, die bestimmt sind, um an die Tiere verfüttert zu werden, als Nahrungsmittel einzusetzen. Dabei geht es keinesfalls um eine Grundsatzdebatte des Fleischkonsums. Aber alleine die Lieferung von weniger Fleisch ins nicht-EU-Ausland und somit eine Reduktion der Mengen an Getreide und Soja, die in hiesigen Ställen verfüttert
werden, würde sehr helfen. Denn die EU exportiert Fleisch im großen Stil. Das muss auch mal so deutlich gesagt werden, und der Europa Ausschuss ist auch der richtige Ort dafür, das zu sagen. Wenn wir es nicht tun, und zulassen, dass in etlichen afrikanischen Staaten Hunger oder zumindest Mangelernährung vorherrschen, dann leiden Menschen, das ist das Tragischste, aber es leidet auch das Image der EU als Werteunion, welches gerade jetzt extrem wichtig ist.

Und mittelfristig müssen wir das uns Mögliche beitragen, dass sog. Entwicklungsländer mehr Ernährungssouveränität erhalten. Das macht sie krisenfest. Die Haltung: „wir ernähren die Welt, während wir gleichzeitig Tierfutter im großen Stil importieren“, schadet bei der Ökologisierung der Landwirtschaft, man denke alleine an das Nitrat im Grundwasser, vor allem macht sie die Versorgungslage in etlichen afrikanischen Staaten fragil. Für sie ist diese Entwicklung fatal. Gerade Baden-Württemberg – The LÄND – hat eine lange Tradition der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, und diese Tradition gilt es, zu exportieren, und die Bedingungen so zu gestalten, dass sie auch gedeihen kann. Es gilt auch, keine Abstriche an der Ökologie hierzulande zuzulassen, die Verschiebung von Stilllegungen um ein oder zwei Jahre ist erträglich, aber es darf keinen allgemeinen Rollback geben. Erneuerbare Energien, gerade Agro-PV, müssen eine größere Rolle erhalten, auch das macht die EU unabhängiger von russischer Energie und stört Putins Kriegsmaschinerie. Das hilft, nicht das Ausspielen von Acker gegen Solarzelle.

Frau Vorsitzende, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Sie hören es mir vermutlich an, und die meisten wissen es eh: ich bin in Russland aufgewachsen, und meine Mutter stammte aus der Ukraine. Umso wichtiger ist mir die Festlegung, dass die große Mehrheit der russischstämmigen Menschen in Deutschland diesen Krieg bedingungslos verurteilt, das wurde bereits angesprochen, aber kann nicht häufig genug wiederholt werden. Wir müssen diese große Mehrheit vor Anfeindungen schützen, und diejenigen, die die Welt bisher aus der Brille russischer Propaganda sahen, bestmöglich abholen, nachdem diese Kanäle des Gifts stillgelegt wurden.

Und letzter Punkt: diejenigen Soldaten der Armee der Russischen Föderation, die sich entscheiden, nicht an dem Krieg teilzunehmen, und desertieren, werden hierzulande als Geflüchtete anerkannt. Die Rechtslage ist eindeutig, aber den Betroffenen kaum bekannt. Daher auch auf Russisch: Солдаты Вооруженных Сил РФ, добровольно сложившие оружие, получат в Германии убежище!

Es lebe die freie Ukraine!

Deutsch-Russ*innen in Deutschland nicht für Putins Krieg in Haftung nehmen! – YouTube